Das klingt anspruchsvoll. Wie lernt man, ein toleranter Mensch zu sein?
Das Stichwort Neugier passt an dieser Stelle ganz gut. Zuallererst hilft aber ein bisschen Distanz: Wenn Sie mit einer Meinung oder Haltung konfrontiert werden, die bei Ihnen Ablehnung auslöst, zählen Sie doch innerlich erstmal langsam bis drei. Dann fragen Sie sich selbst, welche Gründe Ihre Ablehnung hat. Und dann suchen Sie nach Gründen, warum Sie das Verhalten dennoch tolerieren könnten. Ich glaube, dass uns eine grundsätzliche Neugierde an der Welt dazu anleiten könnte, mehr zu verstehen und weniger zu intervenieren.
Welche Kompetenzen sind dazu erforderlich?
Neugier, Empathie und ein Interesse dafür, wie unsere Welt funktioniert und was andere Menschen umtreibt, was ihnen wichtig ist und warum. Ganz generell lässt sich das mit Offenheit umschreiben. Das heisst immer noch nicht, dass ich allem zustimmen muss, was das Gute an der Toleranz ist.
Es gibt viele Zitate zur Toleranz. Ich nenne drei Beispiele und bitte Sie, die Zitate kurz zu kommentieren:
«Ohne Toleranz können wir kein Mitgefühl entwickeln.» (Dalai Lama)
Schönes Zitat – man kann es auch umdrehen: Ohne Mitgefühl können wir keine Toleranz entwickeln, da spielt eine Wechselseitigkeit.
«Toleranz ist das unbehagliche Gefühl, der andere könnte am Ende doch recht haben.» (Robert Frost)
Das könnte tatsächlich passieren, wenn man sich austauscht. Wer offen ist für den Dialog, geht auch die «Gefahr» ein, sich am Ende von etwas anderem überzeugen zu lassen. Insofern birgt Toleranz, als eben diese Balance, auch diese Option.
«Dummköpfe zu ertragen, ist sicherlich der Gipfel der Toleranz.» (Voltaire)
Andere als Dummköpfe zu bezeichnen, ist vermutlich nicht der Weg der Toleranz. Ich behaupte, dass eine Gesellschaft auch ein gewisses Mass an Irrationalität aushalten muss, ohne sie als Dummheit abzukanzeln.
Wo liegen die Grenzen der Toleranz?
Ganz klar an jenem Punkt, wo grundsätzliche Rechte missachtet werden oder gar Gewalt ins Spiel kommt. Letztlich ist diese Frage aber kaum generell, sondern nur im konkreten Fall zu beurteilen. Wenn beispielsweise Personen durch ein bestimmtes Verhalten andere schädigen, ist Einspruch und nicht Toleranz gefragt.
Wann sind Sie zum letzten Mal an Ihre Toleranzgrenze gestossen?
Da geht es mir wie vielen anderen: Auslöser war die Pandemiesituation. Ich habe mit Personen diskutiert, die ihre individuelle Freiheit über die kollektive Freiheit stellen – und damit meine Toleranz recht herausgefordert haben, bis hin zu einem Abbruch der Kommunikation.
Wie reagieren Sie auf solche Herausforderungen?
Erstmal gehen, dann bis drei zählen – und wieder von vorne beginnen.
Interview: Monika Bachmann